Interessantes und offenes Interview vom neuen DKBC-Sportdirektor Harald Seitz

1. Mai 2012 - Sportkegelabteilung

„Ich möchte Kegel-Deutschland in ruhigere Fahrwasser führen und dabei alle Kegler mitnehmen“

Seit 14. Januar 2012 ist Harald Seitz (Liedolsheim) DKBC-Sport
direktor. Ein Amt, das er von Juli 2005 bis Januar 2009 schon einmal inne gehabt hat. CJ-Redakteur Michael Rappe sprach mit Harald Seitz über seine Motivation für dieses Amt und die derzeitige schwierige Lage durch den Streit ums Spielsystem.

cj Online: Was hat Sie bewogen, in schwierigen Zeiten noch einmal für das Amt des DKBC-Sportdirektors zu kandidieren?

Harald Seitz: Ich möchte mithelfen, Kegel-Deutschland in ruhigere Fahrwasser zu führen und dabei alle Kegler mitnehmen. Ich habe es mir nicht einfach gemacht, das Amt zu übernehmen. Eine Grundbedingung dabei war der Fortbestand von 200/100 Wurf, den wir auch satzungsrechtlich verankern wollen. Ich habe im Februar den Landesverband Baden bei einer Bezirkssitzung gebeten, einen Dringlichkeitsantrag einzureichen. Gekommen ist von dort nichts. Wir werden dies nun zur nächsten CK selbst in die Hand nehmen.

cj Online: Wie sehen Sie die Zukunft des Kegelsports angesichts des seit 10 Jahren andauernden Streites um 120 oder 100/200 Wurf und im Hinblick auf die Gründung der DCU?

Harald Seitz: Die Zukunft war bisher schon nicht rosig, jetzt sieht es noch trüber aus. Viele wollen aufhören, das schadet dem Kegelsport. Bei der Entscheidung für die eine oder andere Seite gibt es für viele einen Zwiespalt. Was momentan fehlt, ist Ruhe. Wir müssten alle Kräfte bündeln. Zwei Verbände nach außen zu präsentieren, da sehe ich ein düsteres Bild.

cj Online: Sie waren früher für 200 Wurf und haben sich sogar in der Initiative Pro 200 Wurf engagiert. Was hat den Sinneswandel bewirkt?

Harald  Seitz: Ich war Trainer von einer 100-Wurf- Mannschaft und bin es jetzt von einer 120-Wurf-Mannschaft. Ehrlich, die 120 Wurf kosten mehr Nerven. Es ist aus meiner Sicht einfach spannender, weil alle zwölf Minuten eine Entscheidung fällt. Ich akzeptiere aber auch jede andere Meinung zu 100 und 200 Wurf!

Dkbc-Sportdirektor HaraLD Seitz. Foto: privat

cj Online: Ein 120-Wurf-Spiel bei Rot-Weiß Zerbst dauert dreieinhalb Stunden, ein 200-Wurf-Spiel beim VKC Eppelheim über sechs Bahnen auch. Wo sind denn da die Zeitverkürzung und mehr Spannung?

Harald  Seitz: Der Vergleich hinkt etwas. Vergleichen kann ich nur Spiele über die gleiche Bahnanzahl. Dabei spielt für mich die Zeit nicht so eine große Rolle, aber der Spannungseffekt. Man muss von vier Bahnen mehr gewinnen als der andere. Ein Satz dauert zwölf Minuten, dann fällt eine Entscheidung. Zerbst spielt über vier Bahnen. Über vier Bahnen dauert auch in Eppelheim eine 200-Wurf-Begegnung 5 1⁄2 Stunden.

cj Online: Wäre es nicht sinnvoll, grundsätzlich über sechs Bahnen zu spielen oder Vierermannschaften einzuführen?

Harald Seitz: Es wäre hervorragend, wenn alle über sechs Bahnen spielen würden, aber davon müssen wir uns verabschieden. Das kriegen wir von den Bahn- kapazitäten her nicht hin. Ich könnte mir Vierermannschaften durchaus vorstellen, aber wir müssen uns an die NBC-Richtlinien halten.

cj Online: Die anderen Ziele von 120 Wurf (mehr Präsenz in Presse und Fernsehen, mehr Zuschauer, Olympia) sind aber auch nicht eingetreten...

Harald  Seitz: Klar möchten wir ins Fernsehen, um eine Weltmeisterschaft aufzuwerten. Aber ohne Geld werden wir da wenige Chancen haben. Dart z. B. und andere Sportarten bezahlen hierfür horrende Summen. Egal, ob 100, 120 oder 200 Wurf: Wir werden wohl keine größere Presse bekommen. Das liegt an der Sportart Kegeln selbst. Was die Zuschauer angeht: Es gibt nicht mehr und nicht weniger Zuschauer als vorher. Wir in Liedolsheim haben eher ein paar mehr.

cj Online: Ist die 120-Wurf-Bundesliga, speziell bei den Frauen, durch die Dominanz von Victoria Bamberg nicht viel zu langweilig?

Harald Seitz: Wir bräuchten schon noch zwei bis drei Topteams. Allerdings war dies in der Bundesliga 100 Wurf Frauen ja ähnlich. Mörfelden ist dort der Seriensieger. Wenn bei dem einen oder anderen Verein Geld vorhanden wäre, oder durch Jugendarbeit eine junge Mannschaft aufgebaut werden könnte, wäre es mittelfristig vielleicht möglich, diesen Mannschaften Paroli zu bieten. Wir arbeiten daran.

cj Online: Ist der Mitgliederschwund im Kegeln nicht Besorgnis erregend?

Harald Seitz: Wir liegen da im Trend. Gründe sind ein verändertes Freizeitverhalten und der demografische Wandel. Wir haben schon einen bedeutenden Mitgliederrückgang, aber im Fußball gibt es auf dem Land doch auch immer mehr Spielgemeinschaften. Wir streben an, Mitglieder zu gewinnen, aber momentan steht die Unruhe im Mittel- punkt. Und mit 1 1⁄2 Hauptamtlichen im DKBC kann man bei der Mitgliedergewinnung nicht viel bewegen.

cj Online: Ein großer Kritikpunkt für viele sind auch die vielen internationalen Wettbewerbe. Wäre da weniger nicht manchmal mehr?

Harald Seitz: Eine WM nur alle drei oder vier Jahre, das wäre sehr gut vorstellbar für mich. Aber so lange es in bestimmten Ländern Osteuropas für Medaillen und Weltrekorde Prämien für die Sportler gibt, so lan- ge werden diese Länder für so viele Wettbewerbe wie
möglich stimmen. Wir müssen bei der NBC, nicht nur beim Präsidium, sondern auch bei den anderen Nationen, überhaupt erst mal wieder ein Standing bekommen, damit Deutschland wieder geachtet ist.

cj Online: Im Mai findet die U23-Weltmeisterschaft in Bautzen statt. Wie stehen die Chancen für die deut- schen Teams?

Harald Seitz: Bei einer WM in Deutschland heißt das Ziel für mich für beide Teams ein Platz unter den ersten Drei. Vielleicht können wir sogar zwei Mal die deutsche Nationalhymne hören. Bei der U23 männlich haben wir ein ganz starkes Team. Die Auswahl war für Nationalmannschaftstrainer Axel Tüchert sehr schwierig. Ich habe ihn nicht beneidet, es hätte noch drei bis vier weitere Kandidaten für den WM-Kader gegeben. Die Frauen sind Titelverteidiger. Da ich am Tag des Mannschaftswettbewerbes Geburtstag habe, wünsche ich mir eine Wiederholung.

cj Online: Dürfen denn auch 100/200-Wurf-Spieler an der WM teilnehmen?

Harald Seitz: Da gibt es den Paragrafen 6b. Die NBC gibt sich im Falle Bautzen damit zufrieden, dass alle WM-Nominierten sich verpflichten, an der deutschen 120-Wurf-Meisterschaft teilzunehmen. Diese hätte ei- gentlich vor der WM stattfinden müssen, aber das hat der frühere Sportdirektor versäumt. Wir haben in harten, aber stets fairen Gesprächen mit der NBC das Startrecht für unsere Sportlerinnen und Sportler geregelt. Auch, damit das Orga-Team in Bautzen endlich Planungssicherheit mit der deutschen Teilnahme bekam. Das ist schließlich enorm wichtig für die Sponsoren und die Außendarstel- lung unseres Classic-Kegelsports in Deutschland. 




Harald Seitz: „Die Gründung der DCU ist unnötig, weil der DKBC beide Wurfdistanzen anbietet“

Seit 2. März gibt es die DCU (Deutsche Classic- Kegler Union). Nach Angaben auf deren Homepage wurde sie gegründet, um einen Fortbestand der traditionellen Wurfdistanzen (100/200 Wurf) zu garantieren. Der Meister der obersten Liga will sich wieder „deutscher Meister“ nennen dürfen. Zahlreiche Klubs haben mittlerweile für die DCU gemeldet. Auch ein neuer internationaler Verband wird angestrebt. Nach Ansicht des DCU-Präsidiums sind auch rechtliche und versicherungstechnische Vorbehalte unbegründet. Die DCU strebt die Mitgliedschaft im DKB, im DOSB und in den Landessportbünden an und hält diese nach rechtlicher Prüfung für unproblematisch. CJ-Redakteur Michael Rappe sprach mit DKBC- Sportdirektor Harald Seitz über die Auswirkungen des neuen Verbandes.

cj Online: Nun gibt es eine DCU, also zwei Classic- Verbände. Wie reagiert der DKBC darauf?

Harald Seitz: Ich halte die Gründung für unnötig. Ich kann es nur immer wieder beteuern: Wir bieten alle Wurfdistanzen an. Und ich halte die DCU in ihrer jetzigen Form, ohne Anerkennung im DOSB und DKB rechtlich für sehr bedenklich. Da bewegt man sich außerhalb des Versicherungsschutzes, wenn man nicht Mitglied in den Landessportbünden und/oder im DOSB ist. Ich kann nur jedem Vereinsvorsitzenden raten, sich über Haftungsfragen und Versicherungen umfassend zu informieren. Letztendlich haftet der Vereinsvorstand. Ein Ligenspielbetrieb lässt sich nicht so einfach versichern. Und Versicherungsschutz auf dem freien Markt kostet Geld. Ich empfehle jedem Vereinsvorsitzenden ein Seminar bei der Konrad Adenauer Stiftung (Stuttgart und Mannheim) zum Thema „Haftungsfalle Verein!“
Der Vorsitzende Richter am Amtsgericht in Karlsruhe öffnet dabei so manchem die Augen für was er als Vereinsvorstand verantwortlich ist und schlussendlich haftet.

cj Online: Nun argumentieren die DCU-Befürworter aber damit, dass die 200-Wurf-Liga nur zweitklassig ist und dass es nach der Ligenstruktur nach einem Jahr deutlich weniger Mannschaften geben würde.

Harald Seitz: War nicht vorher schon eine Zweitklassigkeit vorhanden, weil man sich nicht international messen wollte? Im Sinne des DOSB ist der Spitzensport klar definiert. Darunter kommt der Hochleistungssport. Es ergibt sich also daraus schon eine Untergliederung. Und was die Anzahl der Mannschaften betrifft: Aus 80 Mannschaften machen wir 70. Im Ländersportrat im Juni 2011 in München hat der damalige Präsident Fred Altmann folgende Aussage getroffen: „Die Ligenstruktur muss neu eingeteilt werden, da sich der DKBC mit 160 Bundesligamannschaften keinen Gefallen tut. Der Ländersportrat müsse diesbezüglich beratschlagen und entsprechende Entscheidungen treffen.“ Der Gedanke, die Bundesligamannschaften zu reduzieren, ist also nicht neu!

cj Online: Wie soll denn ein Ligenspielbetrieb funktionieren, zum Beispiel mit ersten und zweiten Mannschaften?

Harald  Seitz: Wir sehen eine Doppelmitgliedschaft schon aus versicherungsrechtlichen Gründen als problematisch an. Eines können wir hierzu jetzt schon sagen: Wenn ein Klub zwei Mannschaften auf DKBC-Ebene hat und möchte nur noch mit einer am Spielbetrieb des DKBC teilnehmen, kann dies nur als erste Mannschaft sein. Sollte der DKBC bei einer Doppelmitgliedschaft Haftungsprobleme bekommen, werden wir dies nicht zulassen. Diese haftungsrechtlichen Fragen lassen wir gerade von verschiedenen Organisationen prüfen. Uns liegt bereits eine eindeutige Stellungnahme der Versicherung im Bayerischen Landessportverband (BLSV) vor. Grundsätzlich finde ich es schade um jeden Kegler, der geht. Beim DKBC kann jeder das spielen, was er will. Der DKBC bietet alle Wurfdistanzen an. Dies werden und wollen wir auf Dauer beibehalten!

cj Online: Wie planen Sie denn zurzeit die kommende Saison?

Harald  Seitz:  Stand heute wissen weder die DCU noch der DKBC, welche Mannschaften wo spielen werden. Insofern ist die Ligenzusammensetzung völlig offen. Der 15. Mai (Anm. der Redaktion: bei der DCU der 11. Mai) ist der Meldeschluss für alle Mannschaften. Erst dann weiß man mehr.

Michael Rappe

Original-Interview im neuen Classic-Journal - Link zum Download

Zur Person: Harald Seitz

Geboren am: 22. Mai 1964 in Liedolsheim Familienstand: Verheiratet (2 Töchter, Saskia und Mara) beruf: Versicherungskaufmann

(Firmen- und Industriegeschäft)

Sportliche Karriere:

Aktiv in der III. Mannschaft des KV Liedolsheim (Best- leistung 947 über 200, 497 über 100 Wurf); früher Fußball (Landesliga) Funktionärs-Karriere:

Vorsitzender des KV Liedolsheim, OK-Chef der WM 2009 in Dettenheim, DKBC-Sportdirektor (Juli 2005 – Januar 2009 und seit Januar 2012), Trainer des Frauen- Bundesligisten KV Liedolsheim (Aufstieg 2007/08, Europapokalsieger 2010)

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